Sonntag, 1. August 2010

Duisburg: Chronologie des Skandals hinter dem Skandal

Gestern vor einer Woche kamen 21 Menschen ums Leben, hunderte wurden verletzt. Das ganze Land ist betroffen.

Am Sonntag drängelte in Berlin schon Frau Andrea Nahles vor die Mikrophone und versicherte der Nation die Betroffenheit und Trauer der SPD. Gut, etwas unnötig, aber das Land soll wissen, dass auch die Bundes-SPD so reagiert hat, wie jeder andere in diesem Land.

Noch bevor am Montag die Verantwortlichen aus Polizei, Veranstalter, Stadt und Feuerwehr mit dem unwürdigen Spiel anfangen konnten, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, meldete sich schon die neue Landesmutter Nordrhein-Westfalens Frau Hannelore Kraft mit ihrer Rücktrittsforderung gegen den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland.

Im Morgenmagazin von ARD und ZDF durften dann die Moderatoren diese Meldung mantra-artig jeden Tag wiederholen. Praktisch, dass in der Woche nach dem Unglück die Verantwortung für das Morgenmagazin beim WDR lag, der für seine Hofberichterstattung für die SPD schon viel Lob erhalten hat.

Irgendwann im Verlaufe der Woche sah ich dann auch mal teilweise über 60-jährige "Raver" oder SPD-Basismitglieder - genaueres wissen wir nicht - Schilder in die Luft halten und in Megaphone Aufforderungen sprechen, die diese SPD-Forderung unterstützen. Die anwesenden Journalisten waren der Demonstration zahlenmäßig bei weitem überlegen, konnten oder wollten die Frage nach der Zusammensetzung der Demonstration oder den Motiven der Demonstranten aber nicht klären.



Dann meldete sich auch noch der neue Innenminister Nordrhein-Westfalens Herr Ralf Jäger. Als oberster Dienstherr der Polizei ließ er es sich nicht nehmen ebenfalls Rücktrittsforderungen gegen Oberbürgermeister Adolf Sauerland zu richten. Schön, dass der Innenminister seine Jungs aus der Schusslinie der Kritik zu nehmen versuchte.

Die Printmedien und ihre Online-Ausgaben, deren schrumpfende Redaktionen schon seit Jahren "Recherche" mit "googlen" und "Fakten" mit "Meinung" verwechseln, nahmen diese Forderung nun auf.

Natürlich sekundierte auch hier das Morgenmagazin des WDR. Mehrmals pro Stunde wurde vermeldet, dass das ganze Land den Rücktritt von Oberbürgermeister Adolf Sauerland fordere.

Nach langen Tagen wurde dann endlich im fernen Bayern ein unbekannter CSU-Politiker aus der dritten Reihe ausgegraben, der den Rücktritt eine Frage des Charakters nannte - wohlgemerkt: Rücktritt = guter Charakter, Nicht-Rücktritt = schlechter Charakter.

Wir kennen die Steigerungen von Feind: Erzfeind, Parteifreund. Ende Woche war nun auch Wolfgang Bosbach (CDU) bereit, die SPD-Forderung zu unterstützen. Die Anhaltenden Medienberichte, die suggerierten, dass diese Forderung direkt aus dem Volk kam und von diesem auch mehrheitlich unterstützt wird, ließen ihm das wohl für die Popularität der CDU opportun erscheinen.

Das WDR-Morgenmagazin verkündete auch dies im 10-Minuten-Takt.

Dann gestern die Trauerfeier für die Opfer des Unglücks.

Vor das Mikrophon in der Kirche drängelte die Landesmutter Hannelore Kraft und fand bewegende und rührende Worte.

Aber warum eine Politikerin auf der Bühne dieser Trauerfeier? Ist eine Trauerfeier nicht für die Trauernden da. Ist es nicht Aufgabe der Seelsorger den Trauernden Mut zu zu sprechen? Ist es nicht das Recht der Angehörigen ihre Toten zu würdigen?

Die Bundeskanzlerin Dr. Merkel hat sich so verhalten, wie ich das eigentlich von einem Vertreter des Volkes erwarte: Sie sprach den Angehörigen in einem Nebenraum der Kirche VOR der Trauerfeier Mut zu - ganz ohne Kameras. NACH der Trauerfeier gab sie vor der Kirche eine Erklärung ab. Sie nutze die Trauerfeier nicht als Bühne.

Im Rat der Stadt Duisburg reagierten einzig die Grünen richtig. Sie halten Rücktrittsforderungen für verfrüht und fordern erst die Aufklärung der Vorfälle und Verantwortlichkeiten. Auch ich wünsche mir, dass die Leute Konsequenzen ziehen, die Fehler gemacht haben. Aber dafür möchte ich erst wissen, was die Fehler sind und wer sie gemacht hat.

Moralisch wenigstens etwas richtig reagierten auch die Ratsfraktionen der Partei die Linke und der FDP: Sie forderten die Abwahl durch den Rat des Oberbürgermeisters. Das ist zwar falsch, weil verfrüht, aber dieses Prozedere würde dem in einer Hexenjagd verfolgten Adolf Sauerland wenigstens seine Pensionsansprüche aus seiner Zeit als Hauptschullehrer und Oberbürgermeister retten.


Schlüsse:
  • Seit dem Auftritt von Andrea Nahles am Sonntag hat sich bei mir der Verdacht gefestigt, dass die SPD aus dem Unglück politischen Profit schlagen will
  • Duisburg soll auf Biegen und Brechen für die SPD zurückerobert werden
  • Für dieses Ziel wird dann auch mal schnell der Volkszorn erst geschürt und dann instrumentalisiert
  • Die Trauer der Hinterbliebenen, die Erschütterung der Bevölkerung oder die Aufklärung der Vorfälle müssen hinter diesem Ziel zurückstehen
  • Eine Kamera ist eine Kamera, auch wenn sie auf einer Trauerfeier steht

Die so engagierte neue Landesregierung ist zwar sehr schnell dabei, aus dem Unglück Profit zu schlagen, aber für die Opfer hat sie nichts außer warme Worte. Der viel gescholtene Veranstalter hat hingegen reagiert. Er und seine Versicherung - die AXA - haben schon Geld für die Opfer bereitgestellt - wohlgemerkt: Geld von der Versicherung und Geld aus dem Privatvermögen des Veranstalters.

Das Land aber verteilt Vorwürfe, anstatt Geld. Aber die Opfer bauen ja auch keine Autos, die niemand kauft. Sie haben sich einfach auf eine funktionierende Verwaltung verlassen.

Adolf Sauerland ist Oberbürgermeister der Stadt Duisburg. Das klingt nach viel, ist aber in Nordrhein-Westfalen nur der Titel des vom Volk direkt gewählten Kontrolleurs der Verwaltung. Nicht ihr oberster Chef, sondern die oberste Kontrollinstanz. Hier mag er versagt haben. Aber das wird erst eine Aufklärung der Ereignisse beantworten können.

Natürlich muss er kritisch prüfen, ob er die Dezernenten richtig angewiesen hat. Aber seine Anweisung lautete mit Sicherheit nicht: Die Loveparade muss stattfinden, egal ob es Tote gibt oder nicht.

Natürlich ist er ein Verantwortlicher und die Möglichkeit, dass er diese Verantwortung nur durch einen Rücktritt tragen kann, ist gegeben. Aber er ist eben auch der Verantwortliche für die Aufklärung der Vorfälle: Er kontrolliert die Arbeitsweise der Verwaltung - und es ist wahrscheinlich, dass auch hier Fehler passiert sind. Vor der Verantwortung für die Aufklärung kann er nicht davonlaufen.

Ich empfinde es doch eher unerträglich, dass die NRW SPD versucht, das über 50 Jahre SPD-regierte Duisburg auf dem Rücken von Toten von der CDU zurück zu erobern.

Nur als Übung: gehen wir mal von den besten Absichten der SPD aus und glauben meine Unterstellungen nicht. Dann hat hier die SPD versagt, in dem sie es zulässt, dass ein solcher Verdacht entsteht.

Sie hätte problemlos mit Rücktrittsforderungen warten können, bis die Vorgänge aufgeklärt sind. Ich unterstelle Adolf Sauerland mal, dass er genug Größe hat, dann selbst die Konsequenzen zu ziehen.

Die SPD hätte es vermeiden können, sich vor jede Fernsehkamera zu drängeln und eine Bühne für ihre Selbstdarstellung zu suchen. Für Opfer und Angehörige kann man auch im Hintergrund da sein. Frau Dr. Merkel hat an der Trauerfeier gezeigt, wie man das macht.

Nachtrag:
Zwar selbst am Niedergang des Journalismus nicht ganz unschuldig, aber wenigstens die FAZ beleuchtet die Medien auch mal kritisch.

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